Zivilgesellschaft

Über den gesunden Umgang mit den Medien: die vier Dimensionen der Medienkompetenz / Teil 1

20. November 2020 Auf der einen Seite Desinformation und Panikmache durch Fake News, Cyberbullying, sexuelle Belästigung durch Dick Pics, Identitätsbetrug, Sucht, FOMO, Einsamkeit trotz Vernetzung.
Auf der anderen Seite Echtzeit-Information, Horizonterweiterung, Lernen und Selbstentwicklung, Kennenlernen und Dating, Wachstum, Verbundenheit trotz Distanz.
Was die Medienwelt für uns ist, hängt von uns ab. Von uns und unserer Medienkompetenz.

Da dieses riesige Thema ganz schön überfordernd sein kann, nähern wir ihm uns in einer Artikelreihe und starten mit zwei der vier Dimensionen der Medienkompetenz.

Warum Medienkompetenz so wichtig ist

Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie spricht die WHO von einer Infodemie. Eine Infodemie wird definiert durch „einen Überfluss an teils richtigen und teils unrichtigen Informationen, bei denen es Menschen schwerfällt, vertrauenswürdige Quellen und verlässliche Hilfestellungen herauszufiltern.“ Medienkompetenz erleichtert oder ermöglicht dieses Herausfiltern. Wahrheit von Unwahrheit auseinander halten zu können, ebenso wie vertrauenswürdige von irreführenden Quellen unterscheiden zu können ist ein großartiger erster Schritt.

Die Pandemie wirkt sich auch stark auf unseren Medienkonsum aus. Sei es der Wunsch stets am Laufenden zu sein oder jener nach Ablenkung: die Zeit, die wir mit allen unseren Screens verbringen, steigt. Legitim ist das in Zeiten wie diesen natürlich schon, aber alles andere als gesund. Um die eigene mentale Gesundheit und jene unserer Mitmenschen zu schützen, brauchen wir Selbstreflexion: eine weitere Form der Medienkompetenz.

Auch abgesehen von den aktuellen Entwicklungen, sprechen zahlreiche Studien aus den letzten Jahren eine deutliche Sprache und zeigen, dass Medienkompetenz heute wichtiger scheint als je zuvor:

Fake News

78 Milliarden US-Dollar pro Jahr ist der geschätzte jährliche Schaden weltweit durch die Auswirkungen von Fake News. Die Hälfte davon wird durch Verluste an der Börse und Volatilität verursacht.

48 Prozent von knapp 20.000 Befragten weltweit denken, dass die DurchschnittsbürgerInnen des eigenen Landes nicht fähig sind, wahre Begebenheiten von Unwahrheiten zu unterscheiden. (19 243 Befragte, 27 Länder, 22.06 – 06.07.2018)

15 Prozent der 18- bis 29-Jährigen in Deutschland geben an, sehr gut über das Thema Fake News Bescheid zu wissen. (1000 Befragte, Deutschland, 2019)

Cyber-Kriminalität & Kinder und Jugendliche

27% der Kinder und Jugendlichen in Österreich (11 – 18 Jahre) haben schon einmal online sexuelle Belästigung oder Gewalt erlebt. (400 Befragte, Österreich, 2018)

262 polizeilich erfasste Fälle im Zusammenhang mit Kinderpornographie gab es im Jahr 2019 in Deutschland. Dazu gehören die Verbreitung, der Erwerb, der Besitz und die Herstellung kinderpornographischer Inhalte. (Deutschland, 2016 – 2019)

730.000 Erwachsene in Deutschland hatten schon einmal sexuelle Online-Kontakte zu Kindern unter 14 Jahren.

Social Media & mentale Gesundheit

57 Prozent haben durch die Nutzung von Social Media das Gefühl, dass das Leben der anderen besser ist. (750 Befragte ab 16 Jahren, 18 Länder, Okt – Nov 2016)

64 Prozent der Millennials und rund 63 Prozent der Generation Z denken, sie wären gesünder, wenn sie weniger Zeit mit den sozialen Medien verbringen würden. (16.425 Befragte, weltweit, 4.12.2018 – 18.01.2019)

Was alles ist Medienkompetenz?

Allgemein bedeutet Medienkompetenz die Fähigkeit, die verschiedenen Medien und ihre Inhalte den eigenen Zielen entsprechend zu nutzen. Eine kompetente Nutzung der Medienkanäle sowie deren Inhalte umfasst vor allem die Fähigkeit, sich kritisch damit auseinandersetzen zu können. Der Begriff der Medienkompetenz schließt außerdem eine Informations- und Technologiekompetenz mit ein.

Eingeführt wurde der Begriff in den 1970er Jahren vom Medienpädagogen Baacke. Nach seiner Definition ist ein medienkompetenter Mensch ein selbstbestimmter Mensch. Baacke stellt hier den Menschen in den Mittelpunkt und nimmt uns somit die bequeme „Reaktions-Ausrede“ weg: das menschliche Verhalten sei nicht eine reine Reaktion auf die Umwelt, sondern vielmehr seien wir sehr wohl imstande, selbst zu handeln und unsere Umwelt zu gestalten. Durch Medienkompetenz findet ein Paradigmenwechsel statt: weg von „was machen Medien mit den Menschen“ hin zu „was machen die Menschen mit den Medien“.

Ähnlich wie beim Sprachenlernen geht es bei Medienkompetenz nicht darum, sich gewisse (z.B. technische) Eigenschaften anzueignen und sich entspannt zurückzulehnen. Vielmehr geht es hierbei um „Lernen lernen“ mit dem Ziel, langfristig imstande zu sein sich immer neues Wissen selbstständig und kritisch anzueignen.

Dimensionen von Medienkompetenz

Um die Komplexität dieses Themas in den Griff zu bekommen, haben sich die MedienwissenschaftlerInnen (weitgehend) auf vier Dimensionen bzw. Kriterien geeinigt. Ralf T. Kreutzer fasst diese in einer übersichtlichen Abbildung zusammen:

Bild: Vier Dimensionen der Medienkompetenz. Quelle: Die digitale Verführung. Selbstbestimmt leben trotz Smartphone, Social Media & Co., Ralf T. Kreutzer, S. 128

 1. Sachkompetenz – das Wissen über die Medien

Die Sachkompetenz gilt als Grundlage der Medienkompetenz und setzt ein umfassendes Wissen über die verschiedenen Medien voraus, von Print über TV und Radio bis hin zu Online & Social Media.

(Anm.: Der Begriff „Medien“ wird hier in seiner vagen Alltagsbedeutung als Sammelbegriff für (elektronische) Massenmedien verwendet. Eine nähere Erläuterung der genauen kommunikationswissenschaftlichen Begrifflichkeiten würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Sollte euch der Durst nach Wissenschaft und theoretischen Grundlagen überkommen, findet ihr hier einen guten Überblick.)

An der Stelle stellen wir die Frage in den Raum ob „das Wissen über die Medien“ auch das Wissen über die Qualität der Medien beinhaltet. Was ist ein Qualitätsmedium? Die ersten zwei Kriterien, die uns hierzu spontan einfallen sind: kritische Berichterstattung und Unabhängigkeit. Somit beinhaltet eine kompetente Auseinandersetzung mit den Medien kritische Fragen zu:

  • Glaubwürdigkeit / Objektivität: Wie finanziert sich dieses Medium?
  • Manipulationsrisiko: Welche Akteure könnten hierbei eine Rolle spielen?

Eine ausführliche Debatte über die Definition von Qualität in den Medien würde den Rahmen sprengen, aber wir wollen daran erinnern, die Medien als „die vierte Gewalt“ nicht aus den Augen zu verlieren. Dazu gehört auch, neben gratis verfügbaren Informationskanälen auch auf bezahlte Angebote des Qualitätsjournalismus zuzugreifen. Damit macht man Medien unabhängiger von Anzeigen und honoriert fundierte Recherchen, die einen großen Faktor beim Thema Qualität ausmachen.

Als Denkanstoß für „medienfremde“ Mitmenschen eignet sich hier der berühmte Satz „Wenn es dich nichts kostet, bist du das Produkt.“ hervorragend. Auch wenn eure Mitmenschen dem nicht begeistert zustimmen, bringt ihr sie damit sicher zum Nachdenken. Und Nachdenken ist ein großartiger Anfang.

2. Rezeptionskompetenz – die Fähigkeit, Medien kritisch zu nutzen

Das Wissen über die (Qualitäts-)Medien erlaubt uns eine (Nachrichten-)Quelle als verlässlich oder eher fraglich einzustufen. Das hilft, erspart uns aber nicht die kritische Auseinandersetzung mit der Nachricht per se.  Der Kern unserer Rezeptionskompetenz ist „die Bewertung der in verschiedenen Quellen gewonnenen Informationen„. Wie bereits bei der Sachkompetenz erläutert: die Verwendung mehrerer voneinander unabhängiger Quellen ist das Einzige, was uns möglichst nah an die Wahrheit und fern von den Fake News bringt. Stets skeptisch zu sein und hinterfragen zu müssen welche Intention welcher Sender mit der jeweiligen Nachricht verfolgt, ist auf Dauer recht mühsam. Aber den Gedanken im Kopf zu behalten und zumindest nachzudenken bevor wir eine Meldung online teilen oder darüber erzählen, ist notwendig.

Die kritische Auseinandersetzung nicht nur mit der Quelle einer Nachricht, sondern auch mit dem Inhalt der Nachricht ist aus vielen Gründen wichtig, unter anderem aber weil die Quelle oft in Vergessenheit gerät. Das verdanken wir dem sogenannten Sleeper-Effekt – mit der Zeit trennt unser Gehirn die Informationsquelle von dem Informationsinhalt und lässt uns nur mit „…irgendwo habe ich gelesen, dass…“ hängen. Somit wird aus einer unglaubwürdigen Quelle ein abgeschwächtes, harmloses „irgendwo“, aus der irreführenden Nachricht eine Nachricht und aus uns ein Multiplikator einer möglicherweise falschen Nachricht.

Gerade in Social Media wird es für das ungeübte Auge zunehmend schwer zu erkennen, wer der eigentliche Sender bzw. die eigentliche Quelle eines Postings ist. Hinter der Verbreitung irreführender Nachrichten (aka Fake News) stehen ja inzwischen nicht nur Menschen allein. Ob wir es „Agenda Setting“, „Meinungsmache“ oder schlichtweg Manipulation(sversuch) nennen – in den sozialen Medien spielen Social Bots eine immer größere Rolle. Social Bots sind „automatisierte Programme, die sich als Menschen ausgeben und versuchen, die dort geführten Debatten durch Likes, Tweets oder Retweets in die von ihren Urhebern gewünschte Richtung zu lenken.“ Mehr zum Thema Social Bots findet ihr hier und hier.

In Zeiten, in denen Familien und Freundeskreise sich in Gruppen der „VerschwörungstheorethikerInnen“ und FaktencheckerInnen entzweien, reicht als erster Denkanstoß ein Hinweis darauf, dass eine Meldung nicht automatisch wahr ist, nur weil sie in Umlauf geraten ist und stark geliked wird. Ladet eure Mitmenschen zum Hinterfragen ein:

Wer stellt die Behauptung auf? Woher bezieht er/sie ihre Informationen? Sind Quellen vorhanden? Wenn vorhanden, sind sie verlässlich? Werden Informationen oder bereits bekannte Fakten ausgelassen?  Was ist die Intention hinter der Meldung? Gibt es Gründe für Voreingenommenheit?

Apropos Voreingenommenheit… die eigene Voreingenommenheit gelegentlich zu hinterfragen ist ebenso empfehlenswert. Um unser kognitives Gleichgewicht zu erhalten, tendieren wir alle manchmal dazu nur Informationen wahrzunehmen, die unseren Wahrheiten entsprechen. Es ist wirklich nur menschlich. Auch wenn es sich bei uns nicht um Voreingenommenheit handelt sondern um evidenzbasiertes Wissen, kann uns ein Hinterfragen helfen zu verstehen, warum unsere Mitmenschen an das glauben woran sie glauben. Was macht ihnen Angst? Was können wir machen oder wie können wir argumentieren, um diese Angst zu mildern?

Denkanstöße zu Medienkompetenz – bitte teilen!

Wir wissen, dass das Meiste was wir hier schreiben, für euch nicht neu ist. Aus eigener Erfahrung wissen wir aber auch, wie schnell wir das Gefühl für unsere (Medien-)Bubble verlieren. Und wie schnell sie gelegentlich abhebt.

Um dem entgegenzuwirken, und für „mehr Miteinander statt Gegeneinander“, bitten wir euch dieses Wissen und diese Denkanstöße weiterzugeben. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir gemeinsam einiges bewirken können, wenn wir alle offen und realitätsnah miteinander über Medienkompetenz reden. Und genau darum geht es uns.

Mehr zum Hinterfragen und Nachdenken in Sachen Medienkompetenz lest ihr in Teil 2. Dort geht es weiter mit der Partizipationskompetenz und der Selbstreflexionskompetenz.

Der Artikel basiert zum Teil auf der Struktur und einigen Erkenntnissen von Ralf T. Kreutzer und seinem Buch „Die digitale Verführung. Selbstbestimmt leben trotz Smartphone, Social Media & Co.

Autorinnen: Vivian Scherz & Doris Baumgartner

Statisitk-Quellen:

Fake News

1) Geschätzte jährliche Kosten durch die Auswirkungen von Fake News im Jahr 2019 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1074000/umfrage/jaehrliche-kosten-durch-die-auswirkungen-von-fake-news/

2) Fake News in Deutschland https://www.ipsos.com/de-de/fake-news-deutschland-ein-verhaltnismassig-kleines-problem

3) Wie gut fühlen Sie sich insgesamt über das Thema Fake News aufgeklärt? https://de.statista.com/statistik/daten/studie/741650/umfrage/bekanntheit-des-begriffs-fake-news-nach-altersgruppen/

Cyber-Kriminalität & Kinder und Jugendliche

4) Sexuelle Belästigung und Gewalt im Internet in den Lebenswelten der 11 bis 18 Jährigen https://www.sos-kinderdorf.at/so-hilft-sos/einsatz-fur-kinderrechte/sicheronline/studie

5) Anzahl der polizeilich erfassten Fälle von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornographischer Schriften in Deutschland von 2016 bis 2019 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1110942/umfrage/polizeilich-erfasste-faelle-im-zusammenhang-mit-kinderpornographie/

6) Kinderfotos im Netz: gepostet, geklaut, missbraucht https://programm.ard.de/TV/Untertitel/Nach-Rubriken/Dokus–Reportagen/Alle-Dokus/?sendung=280072031001631

Social Media & mentale Gesundheit

7) Unsoziale Netzwerke https://de.statista.com/infografik/8392/schlechte-laune-durch-social-media/

8) Welchen Aussagen über soziale Medien stimmen Sie zu? https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1024646/umfrage/millennials-und-die-generation-z-zu-negativen-auswirkungen-von-social-media/

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